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Resiliente Stadt

Resilienz wird oft als Fähigkeit beschrieben, in einen Ursprungszustand zurückzufedern – egal, ob es dabei um einzelne Menschen oder die Gesellschaft, um einzelne Unternehmen, die Ökonomie eines Landes oder um natürliche Ökosysteme geht. Die resiliente Stadt nimmt als physischer Schauplatz all dieser Einzelaspekte eine ganz besondere Rolle ein.

Stadt als Organismus
Grüne Lungen, Verkehrsadern, Stadtkörper und -gewebe – für die Beschreibung von Städten gibt es unzählige Analogien zu lebenden Organismen: Städte können pulsierend oder verschlafen, offen oder verschlossen, integrierend oder abweisend sein. Diese Vergleiche sind wenig überraschend, sind Städte doch das Produkt der Menschen, die in ihnen leben und die als Organismen wiederum Teil der natürlichen Umwelt sind. Von resilienten Städten ist daher häufig im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Millionenstädte die Rede. Die Reaktionen auf solche Stressoren reichen vom Einsatz künstlicher Intelligenz zur Vorhersage von Extremwetterereignissen bis hin zur Forderung nach mehr und smarterem städtischem Grün zur Verbesserung des Mikroklimas und Reduzierung der Hitzebildung. Ruft man sich jedoch erneut das Bild der Stadt als Organismus in Erinnerung, dann ist schnell klar, dass eine resiliente Stadt weit mehr als das leisten muss.

Möglichkeitsräume schaffen
Egal, ob in Berlin, New York oder Tokio: Städte werden meist dann als besonders angenehm empfunden, wenn sie urban, vielfältig und voller Geschichte(n) sind und wenn sie Raum für die unterschiedlichsten Menschen, Kulturen, Nutzungen und Gebäudetypologien bieten. „Die Stadt ist ein Möglichkeitsraum für vieles und für viele, deshalb ist sie schon seit den Frühzeiten der Menschheit ein Erfolgsmodell“, gab die Stadtforscherin Ida Pirstinger vor rund einem Jahr in einem Interview mit dem österreichischen Fachmagazin Architektur zu Protokoll. Und weiter: „Die Offenheit für Neues und Unbekanntes zeichnet sie aus, ebenso wie ihre Dichte. Die Dichte an Menschen, an Gebautem, an Angeboten und Interaktionen [...]. Das alles führt zu einer gewissen Heterogenität, die für ihr Funktionieren wichtig ist.“ Diese Diversität ist nicht nur wesentliches Merkmal jeder heutigen Stadtutopie und einer für alle lebenswerten Stadt. Sie ist auch der Schlüssel zu ihrer Resilienz. Denn je mehr Vielschichtigkeit und Vielfalt sie aufweist, desto resilienter ist sie gegenüber den sozialen, ökologischen und ökonomischen Erschütterungen unserer Zeit. Versinnbildlichend weisen resiliente Städte die gesunde (Bio-) Diversität eines Urwalds auf, während die funktionsgetrennten Städte der Moderne eher mit einer landwirtschaftlichen Monokultur vergleichbar und daher entsprechend vulnerabel gegenüber Stressfaktoren sind.
 

Monteverde Wien fassade

Foto: Pez Hejduk

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Foto: Pez Hejduk

Hybride Nutzungskonzepte
Treffender als mit diesen Worten lässt sich kaum formulieren, wie groß der Einfluss der gebauten Umwelt auf die Menschen ist. Klar ist aber auch, dass dieses Einflussnehmen über sehr lange Zeiträume erfolgt und dass sich jedes Umdenken erst sehr viel später konkret auswirkt. Insofern ist keine Zeit zu verlieren, wenn es darum geht, dem gesellschaftlichen Wandel und dem Klimawandel mit Architektur und Städtebau zu begegnen. Unerlässlich in diesem Zusammenhang sind neue Arten von Grundrissen, die tatsächlich den heutigen Wohn-, Lebens- und Arbeitsformen entsprechen, sowie die Überlagerung von Nutzungen – beispielsweise mithilfe hybrider Nutzungskonzepte. Das kann bedeuten, dass Erdgeschosse Läden, Restaurants und Dienstleistungsbetriebe beherbergen, während die Obergeschosse als gemischte Arbeits- und Wohnflächen dienen. Eine feinteilige Nutzungsmischung wird aber auch erreicht, wenn ein Wohnhaus eine große Wohnungsvielfalt bietet. Wenn also Wohngemeinschaften für Alte oder Studierende neben und über freifinanzierten und öffentlich geförderten Single- oder Familienwohnungen liegen, die sich durch Zuschaltflächen und -zimmer ohne viel Aufwand vergrößern oder verkleinern lassen.

Keramik als Material für Architektur und Stadträume
Es ist wichtig zu begreifen, dass Städte aus Bausteinen bestehen, die nicht einfach nur nebeneinanderliegen dürfen, sondern ineinandergreifen müssen – unter Berücksichtigung der Binsenweisheit, dass die Außenwände der Häuser zugleich die Innenwände der Stadt sind. Wenn das, was sich in den Häusern abspielt, auch im Umfeld wahrnehmbar ist, trägt das nicht nur zur Belebung des Stadtraums bei. Es sorgt auch dafür, dass die Menschen das Wesen der Stadt besser verstehen. Gefragt sind daher architektonische Konzepte, die diese Durchgängigkeit zum Ausdruck bringen. Was ist naheliegender, als etwa die Fassade eines Schwimmbads, dessen Badelandschaft, Wellness- und Ruhebereiche maßgeblich vom sinnlichen Zusammenspiel unterschiedlichster Keramikfliesen geprägt sind, mit Fassadenkeramik zu bekleiden? Keramik ist ein Material, das sich mit in Bezug auf Form, Farbe, Größe und Oberfläche mühelos individualisierbaren Elementen in jeder Maßstabsebene in Innen- wie auch Außenräumen einsetzen lässt: an Hochhausfassaden ebenso wie in offenen Erschließungsbereichen und als puristische Rückzugsorte gestalteten Bädern.
 

Eine neue Ästhetik im Sinne der Kreislaufwirtschaft
In einer resilienten Stadt gibt es keine perfekt nur auf einen Aspekt oder eine bestimmte Nutzungsart zugeschnittenen Räume, da Perfektion immer auf einen statischen Zustand abzielt, der in einer Zeit des stetigen Wandels nicht existieren kann. Analog hierzu ist auch für eine auf Hochglanz und Perfektion getrimmte Ästhetik kein Platz. Was wir im Sinne der Kreislaufwirtschaft vielmehr brauchen, sind Produkte aus regional reichlich vorhandenen Rohstoffen, die idealerweise sehr lange an Ort und Stelle verbleiben, ohne Schaden zu nehmen oder selbst schädlich zu sein. So wie das bei Keramik der Fall ist. Keramikfliesen beispielsweise kommen aufgrund ihrer dauerhaften Robustheit häufig an hochfrequentierten Flughäfen und U-Bahn-Stationen zum Einsatz – Orte, die in der Regel immense Anforderungen sowohl an die Reinigungsfähigkeit von Oberflächen als auch an die Gestalt- und Aufenthaltsqualität stellen. Damit bei Bedarf die Möglichkeit besteht, Produkte bei Umbauten zu versetzen und weiterzuverwenden, müssen diese zerstörungsfrei und leicht demontierbar sein. Erst wenn auf diesem Gebiet alle Potenziale ausgeschöpft sind, können ausgediente Produktbestandteile ins Recycling gehen – Abfälle gibt es im Idealbild der Kreislaufwirtschaft genauso wenig wie Kompositmaterialien, deren Verbindung sich nicht oder nur mit hohem Aufwand wieder lösen lässt.

Vor allem bei Materialien, die sich nicht (wie Glas oder Stahl) unbegrenzt in gleichbleibender Qualität recyceln lassen, entstehen im Recyclingprozess oft neuartige Materialeigenschaften. Diese sind meist gerade wegen ihrer Imperfektion reizvoll. Ein Beispiel hierfür sind Fenster aus Recyclingkunststoff, deren unregelmäßige, feinstrukturierte Oberflächen paradoxerweise für eine irgendwie natürlich anmutende Optik sorgen. Produkte wie diese werden unseren Alltag eines Tages maßgeblich mitbestimmen – dann nämlich, wenn alle nicht aus nachwachsenden Rohstoffen bestehenden Produkte Recyclingprodukte sind, weil es keine „frischen“ Rohstoffe mehr gibt. Einheitliche europäische oder sogar globale Standards sowie digitale Tools werden in dieser Zukunft unerlässlich sein. Einerseits, um Produkte effizient herzustellen und zu recyceln, andererseits, um die Materialzusammensetzung von Gebäuden, die dann als wertvolle Rohstoffdepots dienen, in Online-Plattformen wie Madaster verfügbar zu machen.

Die resiliente Stadt hat das große Ganze im Blick
Es spielt keine Rolle, auf welcher Ebene man Resilienz betrachtet. Am Ende gilt immer derselbe Bezugspunkt. „Das resilienteste System ist das Leben selbst: die Natur, die Evolution, der Planet Erde“, schreibt das von Matthias Horx gegründete Zukunftsinstitut in seiner Studie „Zukunftskraft Resilienz“. „Die ‚natürliche Ordnung der Dinge‘ ist dabei in Wirklichkeit eine große Unordnung. Lebende Systeme sind ‚fragil stabil‘ und ‚messy‘, sie basieren auf Fehlertoleranzen und erzeugen ständig Adaptionen. Natürliche Resilienz ist also keine höhere Art von Effektivität, sondern eher ein ‚wilder‘ Überfluss, der Reserven bildet.“ Wenn also von Resilienz die Rede ist, ist letztlich immer das große Ganze gemeint. „Resilienz ist ein aktiver und dynamischer Prozess“, stellt das Leibniz-Institut für Resilienzforschung fest. Diesen Prozess gilt es insbesondere in der Stadt zu kultivieren. Denn die resiliente Stadt ist gleichsam der gemeinsame Nenner für die Menschen, die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft. Hier bedarf es jener Möglichkeitsräume, jener Heterogenität, jener großen Unordnung, aus der wir Menschen ähnlich schöpfen können wie das System Leben aus den Kreisläufen der Natur.

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