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JVA Heidering

Baukultur hinter Gittern

Gefängnisse stehen zwar nicht im Mittelpunkt der Architekturdiskussion. Dennoch sind sie in vielerlei Hinsicht exemplarisch: Zum einen sind Wohn-, Arbeits- und Freizeitbereiche in Haftanstalten stets aufgebaut wie ein städtischer Mikrokosmos. Zum anderen erzählen sie auf ganz besondere Weise vom Umgang der Gesellschaft mit Randgruppen. Das Büro Hohensinn Architektur aus Graz hat bereits mehrere Justizvollzugsanstalten realisiert. Mit der Mitte 2013 eröffneten JVA Heidering in Berlin zeigen die Architekten eindrucksvoll, dass Baukultur nicht vor Gefängnistoren Halt machen muss.

Angesichts der hohen architektonischen Qualität der JVA Heidering fragte der Kulturspiegel provokant: „Darf ein Knast so komfortabel sein?“. Wie lautet Ihre Antwort?

Hohensinn: Grundsätzlich ist die JVA Heidering ein ganz normales Gefängnis für den gelockerten Vollzug, das auf den für solche Bauaufgaben üblichen Kosten- und Raumprogrammvorgaben basiert. Abgesehen davon ist es für uns selbstverständlich, dass diese Gebäude – wie auch all unsere anderen Bauten – so sorgfältig gestaltet sind, dass sie über viel Tageslicht sowie über vielfältige Verknüpfungen von Innen- und Außenräumen verfügen. Und so stelle ich die Gegenfrage: Hätten wir das Gefängnis absichtlich schlecht planen sollen?

about: Eine Besonderheit sind großzügige Gemeinschaftsräume mit vergitterten, aber frei zugänglichen Loggien. Waren diese auch Teil des Raumprogramms?

Hohensinn: Im gelockerten Vollzug sind Wohngruppen in ganz Europa seit Jahren weit verbreitet. Dass diese Bereiche hier großflächig verglast sind und über Loggien verfügen, ist unsere bauliche Antwort auf die Frage, wie es gelingt, ein relativ „normales“ Leben auch im Freiheitsentzug zu ermöglichen. In der JVA Heidering können die Häftlinge dadurch tagsüber oder zu bestimmten vorgegebenen Zeiten einfach ins Freie gelangen, um sich zu entspannen oder zu rauchen. Das sind Dinge, die für jeden von uns selbstverständlich sind. Zu einem kleinen Stück Normalität sollte auch der Zaun beitragen, der das Gelände anstelle einer abweisenden Umfassungsmauer umgibt. Heidering liegt mitten in einer offenen Heidelandschaft. Der dichte Drahtzaun bildet zwar noch immer einen ziemlich starken Filter, dennoch vermittelt er durch die spürbaren Landschaftsbezüge ein gewisses Gefühl der Weite. Hinzu kam, dass der Zaun sogar günstiger war als eine Mauer.

about: Soll diese „Normalität“ gezielt die Resozialisierung der Häftlinge unterstützen?

Hohensinn: Genau das war unser Ziel – wobei man sich vor Augen halten muss, dass es immer wieder auch Insassen gibt, die erst einmal sozialisiert werden müssen. Das gelingt am besten, wenn man ihnen mit Menschlichkeit begegnet. Werden sie durch die Lebensumstände im Gefängnis weiter geschädigt, dann ist es am Tag der Entlassung umso schwieriger, den Schalter umzulegen. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang aber auch die Vollzugsbeamten, die dort nicht selten 30-40 Jahre ihres Lebens verbringen. Bei einem von uns bereits vor gut zehn Jahren in Leoben nach ähnlichen Prinzipien fertiggestellten Gefängnis hat sich gezeigt, dass Räume mit hoher Aufenthaltsqualität durchaus zum Aggressions- und Spannungsabbau beitragen können.

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JVA Heidering, Berlin, Deutschland, alle Fotos: © seyerlein und seyerlein

about: Welche Planungsstrategien würden Sie Architekten beim Bau von Gefängnissen empfehlen?

Hohensinn: Überall, wo für Menschen gebaut wird, ist eine sehr große Sorgfalt angebracht. Zu den Besonderheiten bei Gefängnissen zählt, dass es hier fast alle Bauformen gibt, die auch „draußen“ in der Stadt existieren: Schulen, Büros, Wohnbereiche, Werkstätten, Krankensstationen, Sporteinrichtungen. Aus diesem Grund haben städtebauliche Überlegungen bei der Planung der JVA Heidering von Anfang an eine große Rolle gespielt. So wollten wir die Strecken, die täglich zwischen den einzelnen Bereichen und Gebäuden zurückgelegt werden, bewusst erlebbar machen. Also haben wir keine unterirdischen Gänge realisiert, die vielleicht sehr sicher aber eben auch sehr monoton sind, sondern eine großflächig verglaste „Vollzugsmagistrale“, die durch die Stellung der kreuzförmigen Gebäude und der dazwischen liegenden Hof- und Grünflächen eine interessante Abfolge von Innen- und Außenräumen bietet. Diese Magistrale ist nicht temperiert, sodass Jahreszeiten unmittelbar spürbar bleiben – im Winter ist es dort kalt und im Sommer eben heiß. Ich bin sicher, dass diese subtilen Qualitäten von den Menschen zumindest unterbewusst wahrgenommen werden.

about: Inwiefern kann Architektur dazu beitragen, Menschen zu besseren Menschen machen?

Hohensinn: Das ist eine große Aufgabe, deren Erfolg nicht zuletzt davon abhängt, an welchem Punkt die Menschen abgeholt werden. Ein Anfang ist jedoch bereits damit gemacht, wenn es gelingt, ihren Zustand durch Architektur nicht zu verschlechtern. Wenn sich die Menschen wertgeschätzt fühlen, dann ist es auch leichter möglich, einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Werden z.B. die Sanitärräume eines Gefängnisses nicht mit absolut vandalensicheren Edelstahlobjekten und -wänden, sondern mit ganz normalen Fliesen und im Wohnungsbau üblichem Sanitärporzellan ausgestattet, dann signalisiert dies den Insassen, dass man ihnen zutraut, sorgsam mit ihrem Umfeld umzugehen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das sehr bewusst genau so angenommen und verstanden wird.

about: Haben Sie hier also gewissermaßen die baulichen Voraussetzungen für ein besseres Leben geschaffen?

Hohensinn: Das könnte man so sagen, wobei zu den baulichen Voraussetzungen neben der Aufenthaltsqualität auch die Planung von Bereichen zählt, die von Häftlingen selbstständig und ohne permanente Aufsicht begangen werden können. Das ermöglicht einerseits ein selbstbestimmteres und damit „normaleres“ Leben der Insassen, und andererseits eine enorme Zeit- und Arbeitsersparnis für die Vollzugsbeamten, die dadurch mehr Zeit haben, sich wichtigeren Betreuungsaufgaben zu widmen. Letztlich widerspiegelt die Art und Weise, wie hier mit Menschen umgegangen wird, die Kultur eines Landes. Gerade an der Organisation und Gestaltung von Gefängnissen lassen sich jene Ansprüche ablesen, die eine Gesellschaft auch an sich selbst stellt.

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Das Projekt

Charakteristisch für die neue Justizvollzugsanstalt Heidering sind ein klares städtebauliches Konzept mit differenzierten Freibereichen sowie Gebäude mit hoher architektonischer Qualität, die einen ebenso sicheren wie humanen Strafvollzug ermöglichen. Großflächige Verglasungen und sorgfältig aufeinander abgestimmte Materialien und Oberflächen (auch Fliesen von Agrob Buchtal fanden Anwendung) lassen Wohn-, Freizeit- und Arbeitsbereiche entstehen, die die Insassen bei der Resozialisierung bestmöglich unterstützen.

Fliesenvielfalt für freie Gestaltung

In Gefängnissen werden Fliesen häufig eingesetzt, weil sie hygienisch, langlebig und pflegeleicht sind. Räume mit Fliesen müssen aber nicht steril wirken: den Planern steht eine große Vielfalt an Farben, Formaten und Oberflächen zur Verfügung – ohne Einfluss auf die praktischen Vorteile. Das Beispiel aus der Justizvollzuganstalt Frankfurt zeigt, wie sich die Serie Chroma Play! für eine lebhafte Wandgestaltung nutzen lässt.

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