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Annabelle von Reutern, Head of Business Development, Concular, über ressourceneffizientes Bauen

Mit tradierten Regeln brechen

Concular ist eine digitale Plattform für ressourceneffizientes Bauen. Ziel des Start-ups ist, Kreislaufwirtschaft zu befördern und die Branche dabei zu unterstützen, CO2-neutral zu werden. 

Ihr Team ermittelt wiederverwendbare Baumaterialien. Wie läuft das ab?
Bestandshalterinnen und Projektentwicklerinnen, die einen Um- oder Rückbau planen, kontaktieren uns. Dabei beginnen wir i. d. R. ab einer Projektgröße von rund 5.000 m² BGF bei Rückbauobjekten. Bei der Erstellung von Materialpässen für Neubauten haben wir keine Größenbegrenzung.

Lassen sich Gebäude mit den gesicherten Baustoffen durchgängig bestücken?
Unsere Plattform bietet alle Gewerke an – von konstruktiven Elementen, über technische Gebäudeausrüstung bis zum Innenausbau. Zirkuläres Bauen und die Wiederverwendung von Materialien wollen wir zum neuen Standard machen. Nur wenn der Sprung aus der Nische gelingt, werden Veränderung und Bauwende Realität. Künftig folgen Form und Entwurfsprinzip von Gebäuden der Verfügbarkeit von Material.

Was passiert mit Material, das sich nicht unbeschädigt zurückbauen lässt?
Bislang liegt unser Fokus auf leicht ausbaubaren Produkten. Zukünftig denken wir aber auch mehr in Richtung Recycling. Also Materialien, die als re-use-Produkt nicht mehr zur Verwendung kommen können. Dafür sprechen wir derzeit mit Firmen und Wiederaufbereitern. Wir wollen diesen Ort schaffen, an dem wir das Bauen gemeinsam verändern.

Teile aus Glas, Stahl, Naturstein sowie Sanitärkeramik finden sich im Concular-Bestand. Wie sieht es mit Keramikfliesen aus?
Keramik ist aufgrund der hohen Herstellungsenergie ein Produkt, das definitiv wert ist, wiederverwendet zu werden. Wir haben bisher keine Fliesen aufgenommen und verkauft. Ein Grund kann sein, dass der Fliesenkleber schadstoffbelastet war. Der Ausbau ist auch sehr aufwendig. Bei Neubauten ist es wichtig, alle Materialien so zu verbauen, dass sie leicht ausbaubar und mit Materialpässen versehen sind.

Wie kommt das Konzept von Concular an?
Der Beratungsbedarf ist bei allen Beteiligten groß – von Rückbaufirmen über Hersteller bis zu den Generalunternehmern. Als Bauschaffende haben wir es schlicht verlernt, einfach und rückbaufähig zu planen und zu bauen. Doch der Trend zurück zum achtsamen Umgang mit unseren Ressourcen ist unaufhaltsam. Die Nachfrage nach unserer Unterstützung ist enorm, alle haben Lust etwas zu verändern. Doch lang etablierte Prozesse bricht man nicht innerhalb so kurzer Zeit auf. Wir haben die Vision und geben Impulse. Das funktioniert allerdings nur, wenn alle mitmachen.

Besteht bei Nachhaltigkeit nicht die Gefahr von Greenwashing?
Jeder, wie er kann. Und wenn der Weg zur Nachhaltigkeit über die PR-Abteilung geht, dann ist das eben so. Solange sie nicht ausschließlich dort hängenbleibt oder bei der Head of Sustainability versandet. Für uns ist eine partnerschaftliche Begegnung auf Augenhöhe wichtig. Und wenn wir merken, dass wir und unser Anliegen nicht ernst genommen werden, kommt es zu keinem Projekt. Niemand ist perfekt, einfach machen und dranbleiben.

Welche Veränderung wünschen Sie sich von Industrie, Planern, Politik – von uns allen?
Alle dürfen sich in ihrem Rahmen ändern. Neulich meinte jemand, ich könne nicht erwarten, dass alle Menschen intrinsisch motiviert sind. Das sehe ich anders. Sollte es nicht selbstverständlich sein, diesen Planeten und damit uns alle zu schützen und einen lebenswerten Raum zu erhalten? Durch die sich immer schneller abzeichnende Klimakatastrophe sind wir eingeladen, unser Denken und Handeln radikal zu hinterfragen und den Fokus neu zu justieren. Das klingt jetzt alles sehr abstrakt, aber die Liste der Dinge, die jeder einzelne der oben genannten Akteurinnen ändern könnte, sollte, darf ist lang. Eigenverantwortung: hoch – tradierten Regeln folgen: runter.

Sind jüngere Büros für Konzepte wie Concular offener als etablierte?
Wir merken durch die Generationen ein enormes Interesse und eine Offenheit, die ich lange Zeit vermisst habe. Die Dringlichkeit scheint in den letzten drei Jahren deutlich geworden zu sein. Die Wut ist groß, der Wille zur Veränderung auch. Leider ist die Angst, den gewohnten Pfad zu verlassen, teils noch größer als die Angst vor den Folgen bestehender Systeme und Strukturen.

Wie schätzen Sie das Potenzial nachwachsender Rohstoffe ein?
Ich denke, es ist falsch zu glauben, dass uns der Holzbau retten wird. Es gibt nicht die eine Lösung für alles. Weniger und einfacher bauen, Abriss kritisch hinterfragen und das Bestehende nutzen. Das alles sind genauso wichtige Hebel wie die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen und das trennbare Verbauen all dieser Materialien. Wenn das nicht passiert, schaffen wir erneut eine Einbahnstraße der Ressourcen hin zur Deponie. Bitte nicht nochmal.

Interview: Ute Latze

annabelle-von-reutern

Annabelle von Reutern studiert Architektur an der RWTH Aachen sowie TU Berlin und arbeitet anschließend mehrere Jahre in klassischen Planungsbüros. Seit Februar 2021 verantwortet sie bei Concular das Business Development. Durch Concular stößt die Architektin auf die Plattform Architects for Future und ist sofort begeistert. „Hier sind Menschen zusammengekommen, die eine Vision haben, nicht auf Erlaubnis warten, sondern gleich loslegen. Und das ist ansteckend.“ Seitdem setzt von Reutern alles daran, die Baubranche radikal zu verändern.

Weniger und einfacher bauen, Abriss kritisch hinterfragen und das Bestehende nutzen. Das alles sind genauso wichtige Hebel wie die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen und das trennbare Verbauen all dieser Materialien. Wenn das nicht passiert, schaffen wir erneut eine Einbahnstraße der Ressourcen hin zur Deponie. Bitte nicht nochmal.

– Annabelle von Reutern