Der deutsche Biennale-Beitrag der „Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet“ widmet sich dem Spektrum aus Reparieren, Instandsetzen und Warten von gebauter Umwelt. Das Konzept fungiert als eine Art Labor für Best Practices und greift damit das Leitthema der Biennale von Lesley Lokko auf: The Laboratory of the Future. Wir sprachen mit Kurator Anh-Linh Ngo über die Dringlichkeit täglicher Bestandspflege, sein Verständnis von nachhaltigem Bauen und natürlich über den Deutschen Pavillon und was wir dort im kommenden Jahr erwarten können.
Herr Ngo, in der Gesprächsreihe dieses Magazins spüren wir den vielfältigen Dimensionen von Nachhaltigkeit nach. Daher gleich zu Beginn ganz direkt gefragt: Was hat sich in den letzten fünf Jahren in der Architektur und Baubranche getan?
Die Bauwirtschaft ist träge, weil das Bauen lange dauert. Veränderungen zeichnen sich in der Regel erst viel später in der tatsächlich gebauten Umwelt ab. Die neue Generation von Architekt*innen setzt sich gezielt für eine nachhaltige Baupraxis ein. Ein Start-up für die digitale Inventarisierung gebrauchter Materialien und Bauteile wie z.B. Concular macht sich stark für die Kreislaufwirtschaft und kämpft gegen Leerstand und Abriss. Oder Architekt*innen engagieren sich in Berufsverbänden und Politik. Das stimmt mich zuversichtlich.
Welchen Einfluss hat das Bauen auf die Entwicklung unserer Gesellschaft?
Architektur manifestiert und prägt soziale Beziehungen. Sie bildet den materiellen Rahmen für Gemeinschaft oder Anonymität, Integration oder Ausschluss, Öffentlichkeit oder Privatsphäre. Doch die Tatsache, dass Bauen und Unterhalt von Gebäuden etwa 40 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen, erfordert rasches und konsequentes Handeln, wenn die Bauwende gelingen soll.
Und inwieweit beeinflusst die Ressourcenknappheit unsere Städte?
Zeitgenössische Entwicklungen weisen deutlich auf den Wert bestehender Bausubstanz hin, so z. B. das jüngst von verschiedenen Klima-Initiativen und Berufsverbänden wie dem BDA geforderte Abrissmoratorium. In dem Aufruf, den auch ich als Erstunterzeichner unterstützt habe, heißt es: „Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen.“ Erneut zeigt sich darin die räumliche Verflechtung von ökologischen und sozialen Themen. Zwar kann eine Pflege des Bestandes die Gentrifizierung ganzer Stadtteile nicht aufhalten, aber den Prozess verlangsamen.
Welche Chancen sehen Sie für die Architektur und Stadtentwicklung in den nächsten 20 Jahren?
Nachhaltigkeit und soziale Aspekte bedingen sich gegenseitig. Um eine nachhaltige Zukunft für alle zu erreichen, müssen auch die sozialen Beziehungen der an Raumproduktion Beteiligten neu ausgerichtet werden. Dazu zählen auch diejenigen, die den Bestand pflegen und instandhalten. Außerdem sollte sich das Verhalten der Nutzer*innen ändern. Architekt*innen müssen dabei jenen vernachlässigten Räumen und Infrastrukturen Aufmerksamkeit schenken, die allen Menschen im sozialen Gefüge die Teilhabe ermöglichen. Die Chancen einer solchen sozialen Architekturpraxis könnten zu neuen Formen führen, Gestaltung und Soziales künftig zusammenzudenken – dazu wollen wir mit dem deutschen Beitrag anregen.
Gratulation noch einmal zur Auswahl ins Kuratorenteam der Architekturbiennale 2023. Wie kam es dazu?
2021 hat die Arch+ eine Ausgabe „Zeitgenössische feministische Raumpraxis“ gemacht. Maintenance und Sorgearbeit in der Architektur war eines der Themen, zu dem wir das Projekt „San Riemo“ vorgestellt haben. Die Arge Summacumfemmer und Büro Juliane Greb hat die Eingangshalle des Genossenschaftswohnbaus als Ort der Care-Arbeit für Bewohnende gestaltet. Hier kann gewaschen, kann gewerkelt und können die Kinder betreut werden. Ein vorbildliches Projekt! Das fand auch die Jury des DAM Architektur Preises, die „Wohnhaus San Riemo“ 2021 auszeichnete. Mein Kollege Christian Hiller und ich haben dann das Arge-Team eingeladen, sich mit uns für die Kuration zu bewerben.
Wir sind neugierig: Was erwartet uns im Pavillon und was sind Ihre Ziele?
Wir setzen uns zunächst mit der Biennale und den teils ungünstigen Auswirkungen auf Venedig auseinander. Jedes Jahr werden im großen Stil Ressourcen für Ausstellungsarchitekturen verbaut und anschließend als wertloser Müll entsorgt. Wir wollen zu einer Wertschätzung der Arbeit derjenigen beitragen, die die Grünflächen, Pavillons, sanitären Anlagen oder Kunstwerke pflegen und warten. Die vielen „Collateral Events“ ziehen massiv Touristen an, dadurch werden Anwohner*innen zunehmend verdrängt. Auch Wohnraum und öffentliche Räume geraten zunehmend unter Druck.
Genau hier setzen wir an: Durch den Umbau des Deutschen Pavillons in eine funktionierende Infrastruktur schaffen wir eine Plattform. Damit geben wir den Menschen Raum und Stimme, um sich gegen diese Entwicklung zu wehren. Ein weiteres Ziel ist die Vernetzung venezianischer mit deutschen Initiativen, die an ähnlichen Problemstellungen arbeiten.
Wie unterstützt Ihr Konzept das Thema „The Laboratory of the Future“?
Wir geben venezianischen und deutschen Projekten eine Bühne und vernetzen sie. Denn sie beschäftigen sich mit drängenden Fragen der Zukunft wie z.B. Kreislaufwirtschaft, die Wasserknappheit, CareArbeit, das Recht auf Stadt oder die Selbstermächtigung durch Eigeninitiative. Das ist spannend! Dabei werden Projekte nicht klassisch mit Text und Fotos vermittelt, sondern als erfahrbare, räumliche Prinzipien innerhalb einer funktionierenden Infrastruktur.
Wie sensibilisiert man die Gesellschaft – also uns alle – dafür, nachhaltiger zu handeln?
Wir nutzen die Biennale, um ein breites Spektrum an Interventionen, Positionen und kollektiven Organisationsformen vorzustellen. Sowohl in der Architektur- und Baubranche als auch Öffentlichkeit nehmen wir zunehmend Akzeptanz wahr. Indem wir Menschen und Initiativen stärken, die teils seit Jahrzehnten dafür erfolgreich kämpfen, machen wir auf Handlungsoptionen aufmerksam. Das sind gute Beispiele, um selbst aktiv zu werden.
Da kommt mir aber gerade auch noch ein Zitat aus der Erzählung „Die Kirschen der Freiheit“ von Alfred Andersch als sehr passend in den Sinn. Die erste ARCH+ Ausgabe hat es im Januar 1968 schon gebracht: „Ich werde es hoffentlich stets ablehnen, Menschen überzeugen zu wollen. Man kann nur versuchen, ihnen die Möglichkeiten zu zeigen, aus denen sie wählen können.“
Interview: Ute Latzke
Anh-Linh Ngo ist Architekt, Autor und Chefredakteur des Architekturmagazins ARCH+. Er war Co-Kurator der von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Projekte projekt bauhaus (2015–2019) und Cohabitation (2021). Er ist Kuratoriumsmitglied der IBA 2027 StadtRegion Stuttgart, des Kuratoriums der Akademie Schloss Solitude sowie des Beirats des Goethe-Instituts. Seit 2022 ist er Mitglied der Akademie der Künste. Außerdem gehört er zum Kuratorenteam des Deutschen Pavillons auf der 18. Architekturbiennale in Venedig 2023, das Redaktionsmitglieder von ARCH+ sowie Architekt*innen umfasst: Anne Femmer, Franziska Gödicke, Juliane Greb, Christian Hiller, Petter Krag, Anh-Linh Ngo, Florian Summa.
Architektur manifestiert und prägt soziale Beziehungen. Sie bildet den materiellen Rahmen für Gemeinschaft oder Anonymität, Integration oder Ausschluss, Öffentlichkeit oder Privatsphäre. Doch die Tatsache, dass Bauen und Unterhalt von Gebäuden etwa 40 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen, erfordert rasches und konsequentes Handeln, wenn die Bauwende gelingen soll.