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Retro-Charme durch Re-use

Rudolf Schütz ist Bürgermeister von Prinzersdorf, Österreich. Im Interview erzählt er, wieso die Gemeinde sich für eine restaurative Herangehensweise entschieden hat und welche Rolle Schwamm und Spülmittel dabei spielten.

Herr Schütz, war von Anfang an klar, dass die Keramikfassade nicht ersetzt, sondern erhalten werden soll?
Anfangs gab es unterschiedliche Meinungen im Gemeinderat. Wir hatten deshalb eine Studie dazu beauftragt und die Architekten haben die unterschiedlichen Szenarien mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen gut aufbereitet und gegenübergestellt: ein Neubau an anderer Stellen, Abriss und Neubau an derselben Stelle, die vollständige Entkernung, die sanfte Sanierung und eine umfassende Sanierung mit Dämmung der Außenfassade.

Warum haben Sie sich dann für die sanfte Sanierung entschieden?
Alle Verantwortlichen waren sich schnell einig, dass das die beste Lösung ist: zum einen wegen der kurzen Sanierungs- und Umbauzeit von einem halben Jahr und der kostengünstigen Umsetzung. Mit 1,35 Millionen Euro blieb die Gemeinde sogar unter den beschlossenen Baukosten von 1,4 Millionen Euro. Schon eine vollständige Entkernung hätte das Dreifache unseres veranschlagten Budgets gekostet. Zum anderen sprach für eine Sanierung, dass das Rathaus von seiner Funktionalität her einfach gut konzipiert ist: Dank seiner außenliegenden Betonstützen und geraden Achsen sind die Raumgrößen leicht zu verändern und in alle Bereiche fällt viel Tageslicht. Besonders ist auch das großzügige Foyer, das wir zum Beispiel für Vernissagen mit bis zu 150 Personen oder einen Weihnachtsmarkt nutzen. Bei den heutigen Baukosten hätten wir uns diese Großzügigkeit in einem Neubau niemals leisten können.

Welches Image hatte das Rathaus in der Bevölkerung?
Vor der Sanierung war die Meinung von dem Bau gerade bei den Jüngeren nicht die beste. Gebäude aus den 1970er Jahren erfahren ja generell nicht besonders viel Wertschätzung und werden häufig abgerissen.

Und heute?
Nach der Sanierung hat sich das total gewandelt. Viele Jugendliche finden das Rathaus jetzt Retro, sie identifizieren sich damit. Der Coolness-Faktor ist enorm gestiegen. Und auch das Bewusstsein dafür, dass der Erhalt des Bestands und das Weiternutzen und Wiederverwenden von Baumaterialien fürs Klima und den Ressourcenschutz deutlich besser ist als Abriss und Neubau. Gerade diesen Aspekt haben wir auch viel kommuniziert, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Nominierung für den österreichischen Bauherrenpreis 2022.
 

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Sie haben sich dafür entschieden, die Keramikfliesen bei der Sanierung an der Fassade zu lassen.
Sie abzunehmen, um dann eine Außendämmung anzubringen, wäre viel zu aufwendig und teuer geworden. Wir haben uns deshalb für eine Innendämmung mit umweltfreundlichen Glasschaumplatten entschieden. Die sind nur zehn Zentimeter dick und nehmen nicht viel Raum weg.

Musste ein Teil der Keramikfliesen ersetzt werden?
Nein, wir haben zwar noch einen kleinen Vorrat im Untergeschoss – was auch gut ist, weil diese Fliesen nicht mehr hergestellt werden. Aber alle waren noch vollkommen intakt, wir mussten nichts ausbessern. Stattdessen haben wir die Platten einfach nur reinigen lassen: per Hand mit einem Schwamm und ganz normalem Spülmittel. Das hat uns nicht mal 2.000 Euro gekostet und die Fliesen sehen aus wie neu. Das ist einfach ein geniales Material. Die gute Qualität der Keramikplatten hat die sanfte Sanierung überhaupt erst möglich gemacht.

Was macht die Platten für Sie so besonders?
Dass keine exakt so aussieht wie die andere. Die gelben Sprenkel sind entstanden, indem Quarz händisch eingestreut wurde. Darüber hinaus sind die Fliesen dank der Farbgestaltung sehr unempfindlich gegen Schmutz.
 

Spiegelt sich die Farbgestaltung auch im Inneren des Rathauses wider?
Ursprünglich waren Böden, Wandfarben und Möbel wie Sofas oder Sessel ebenfalls in Gelb, Beige und Blau gehalten. In den 90er Jahren wurden dann zum Beispiel die Sessel einfach mit rotem Stoff neu bezogen. Da fehlte wohl das Gefühl dafür. Die Architekten jetzt haben die ursprünglichen Farben wieder sehr charmant auch im Innern aufgenommen. Teppiche und Bodenfliesen in den Sanitärbereichen sind Blau, Stühle und Sessel gelb bezogen.

Welches Fazit ziehen Sie?
Ich bin einfach glücklich, dass wir das Rathaus saniert haben. Es erfährt eine neue Wertschätzung. Das ist ein bisschen, wie einen Oldtimer zu restaurieren. Auch diejenigen, die anfangs skeptisch waren, sind jetzt begeistert. Die Bauqualität ist so hervorragend, dass das Rathaus noch einige Jahrhunderte stehen kann, wenn man es lässt.

Interview: Kristina Simons, Fotos: Konrad Neubauer

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