Welche Rolle spielt das Bauwesen für den Klimawandel? Und welche Perspektiven ergeben sich daraus? Diesen Fragen geht der Architekt und Ingenieur Werner Sobek in seiner Trilogie „non nobis – über das Bauen in der Zukunft“ nach. Der erste Band „Ausgehen muss man von dem, was ist“ ist 2022 erschienen, Band 2 folgt im Frühsommer 2023. Wir sprachen mit Werner Sobek über seine Erkenntnisse.
Worauf verweist der Titel Ihrer Trilogie – „non nobis“, lateinisch für „nicht wir“?
Dieses verkürzte Zitat des lateinischen Autors Cicero steht dafür, dass wir nicht für uns allein handeln. Das, was wir als Gesellschaft heute entscheiden und tun, reicht weit über unseren eigenen Horizont hinaus und wirkt weit in die Zukunft hinein. Mein Anspruch ist es, die Interaktion aufzuzeigen zwischen dem, was auf der Welt passiert, und dem Bauwesen.
Sie sagen, das Bauschaffen beeinflusst die globale Erwärmung und umgekehrt. Wie meinen Sie das?
Durch Auswirkungen des Klimawandels wie Hitze und Ernteausfälle werden bestimmte Gegenden unseres Planeten in absehbarer Zeit nicht mehr bewohnbar sein; viele Millionen Menschen werden deshalb beginnen zu migrieren. Dann aber benötigen sie eine gebaute Heimat an einem anderen Ort, Wohnungen, sauberes Wasser, Schulen, Krankenhäuser. Wie viele Milliarden Tonnen Baustoffe brauchen wir dafür? Was bedeutet das wiederum für Ressourcenverbrauch, Emissionen und unsere Umwelt?
Was ist Ihre wesentliche Erkenntnis?
Wenn wir weiter so bauen, wie wir es heute tun, ist das für das Klima eine Katastrophe. Diese Erkenntnis wollte ich mit Fakten untermauern und der Allgemeinheit vermitteln. Das Wissen um die wesentlichen Fakten ist bei vielen schlicht und ergreifend nicht vorhanden. Das führt immer wieder zu falschen Schlüssen. Mir war es deshalb wichtig, eine Allgemeinverständlichkeit zu schaffen, die Begrifflichkeiten klar zu definieren und Zusammenhänge aufzuzeigen.
Auf welche Ungenauigkeiten und falschen Schlüsse sind Sie bei Ihren Recherchen gestoßen?
Zum Beispiel beziehen sich die eingeforderten Energieeffizienzmaßnahmen im Bauwesen immer nur auf die Reduktion des Energieverbrauchs in der Nutzungsphase der Bauwerke. Die Frage, wie viel Energie verbraucht wird, um die für das Bauen erforderlichen Rohstoffe zu gewinnen, zu verarbeiten und schließlich zu einem Gebäude zusammenzufügen, bleibt außen vor. Auch dass ungefähr 50 Prozent der Emissionen eines Neubaus vor der eigentlichen Nutzungsphase verursacht werden, wird bei den Zielvorgaben der Bundesregierung für den Sektor Gebäude nicht berücksichtigt. Ebenso wenig spielt der Energieverbrauch in der Rückbauphase bisher eine Rolle.
Was macht es so schwierig, den Energieverbrauch in der Herstellphase von Bauwerken zu bilanzieren?
Energieverbrauch und Emissionen, die nicht direkt mit dem Gebäudebetrieb zusammenhängen, werden in der Regel externalisiert, d. h. nicht dem Sektor Gebäude zugerechnet. So fällt die Zementherstellung in den Sektor Industrie, der Transport des Zements ins Betonwerk wird unter Mobilität verbucht. Ein Großteil der Emissionen, die das Bauschaffen verursacht, verschwindet also in den anderen Sektoren. Auf diese Weise werden Effekte vertuscht – und der große Hebel, den Architekten und Ingenieure besitzen, wird kleingerechnet.Sie thematisieren die unscharfe Trennung zwischen Energieeffizienz und Emissionen. Ich halte es für sehr problematisch, dass immer wieder gefordert wird, man müsse vor allem die Energieeffizienz steigern und den Energiebedarf senken. Wir haben kein Energieproblem, sondern ein Emissionsproblem. Die Sonne strahlt über 10.000-mal mehr Energie auf die Erde ein, als wir Menschen benötigen. Das Problem sind die klimaschädlichen Emissionen, die bei Verbrennungsprozessen zur Bereitstellung von Energie entstehen, sei es von Erdöl, Stein- und Braunkohle, Gas oder Holz.
Wie können Architekten möglichst emissionsfrei bauen?
Wir müssen behutsamer, differenzierter vorgehen. Architekten müssen sich bewusst machen, welche Baustoffe was (und wie viel) emittieren. Die zweite Frage ist, über welche Entfernungen die Baustoffe transportiert werden. Wenn Sie Betonfertigteile von Polen nach München fahren, verursacht der Transport mehr Emissionen als der Beton selbst. Noch wahnwitziger wird es, wenn Sie Granit aus China oder Marmor aus Italien heranschaffen. Auch wenn es romantisch klingt: Wir müssen ortsnahe Baustoffe verwenden. Auch Bauen mit Lehm ist nur dann sinnvoll, wenn der Lehm nicht erst Hunderte Kilometer mit dem Lkw transportiert werden muss. Wir brauchen immer den Gesamtblick.
Was ist neben dem regionalen Bezug noch wichtig?
Das Bauwesen steckt in dem Dilemma, mehr bauen zu müssen und damit zugleich die klimaschädlichen Prozesse zu beschleunigen. Die einzige Chance ist, mit weniger Material auszukommen, Leichtbautechniken anzuwenden, Wände und Decken wieder dünner zu bauen, selbst wenn sie dann weniger schalldicht sind. Auch beim Brandschutz müssen wir vielleicht Abstriche machen. Allein durch solche Dinge lassen sich schnell 20 bis 30 Prozent Emissionen einsparen. Wir müssen recyclinggerecht bauen, damit wir nach dem Abriss nicht Unmengen Sondermüll haben, sondern wertvolle Rezyklate.
Bauen mit Holz ist seit einiger Zeit ziemlich angesagt. Aber auch das halten Sie für problematisch.
Ich will den Holzbau nicht verdammen. Aber wir erleben gerade eine Situation, in der die Zusammenhänge unsauber dargestellt werden. Erstens haben wir nicht genügend Holz, um wirklich großflächig auf andere Werkstoffe wie Beton zu verzichten. Zweitens entziehen wir dem Wald durch das Fällen eines Baumes einen Teil seiner CO2-Bindungs- Kapazität. Beim Vermodern der Nadeln, Blätter, Zweige und Wurzeln dieses Baumes wird wieder CO2 freigesetzt. Und ein erheblicher Teil – wir sprechen von bis zu 50 Prozent – des aus dem Wald abtransportierten Stammes geht als Produktionsabfall der Sägewerke und der holzverarbeitenden Betriebe in die thermische Verwertung. Das bedeutet, dass wir 50 Prozent und mehr des in einem gefällten Baum enthaltenen Kohlenstoffs relativ kurzfristig wieder als Kohlendioxid in der Atmosphäre finden. Ein Baumsetzling kann diese Emissionen nicht bis 2045, also bis zu dem Zeitpunkt, ab dem Deutschland treibhausgasneutral sein will, kompensieren. Dafür muss ein Baum mehr als 50 Jahre alt werden.
Könnte das Vergaberecht eine größere Rolle spielen, um klimagerechter zu bauen?
Für mich ist das Vergaberecht eine einzige Katastrophe. Das hängt mit dem Begriff der Rechtssicherheit zusammen. Es wird heute nichts mehr genehmigt, wenn die öffentliche Stelle, bei der Sie einen Antrag stellen oder einen Wunsch äußern, sich nicht absolut rechtssicher fühlt. Das bremst schnelle Bewegungen und damit Innovationen aus. Da beißt sich unsere Gesellschaft mit ihrer Vollkasko-Mentalität selbst in den Schwanz.
Interview: Kristina Simons
Das Interview erschien in einer längeren Version erstmals auf competitionline.com
Werner Sobek gründete im Jahr 2000 das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart. Nach fast drei Jahrzehnten der Lehre und Forschung an der Universität Stuttgart hält er am 25. Mai 2023 seine Abschiedsvorlesung. Er ist außerdem Gründer eines weltweit tätigen Planungsbüros mit mehr als 350 Mitarbeitenden.
Das Bauwesen steckt in dem Dilemma, mehr bauen zu müssen und damit zugleich die klimaschädlichen Prozesse zu beschleunigen. Die einzige Chance ist, mit weniger Material auszukommen, Leichtbautechniken anzuwenden, Wände und Decken wieder dünner zu bauen.