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Spurensuche im Werk des Kinoarchitekten Gerhard Fritsche

Baukeramik in der Berliner Nachkriegsmoderne

Mitten auf dem Kurfürstendamm steht eine bunt schimmernde Mosaikvase, eine Arbeit des Berliner Künstlers Gerhard Schultze-Seehof, aufgestellt im Mai 1957. Jeder Berliner kennt sie. Farbige Mosaiksteine überziehen die gesamte Oberfläche der Vase, sie „sind ‚Bergungsgut’ aus der Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche“ (1), die auch für ihre reichhaltige Ausstattung mit Mosaikbildern aus der Werkstatt der Firma Puhl & Wagner berühmt war. Die Vase symbolisiert gleichsam die Zerstörung Berlins im 2. Weltkrieg, aber auch die zarte Pflanze des Neuanfangs.

Im gleichen Monat des Jahres 1957 – nur wenige hundert Meter weiter, vis-à-vis der Gedächtniskirche – findet die feierliche Eröffnung des Kinos „Zoo Palast“ statt, gebaut als neue Hauptspielstätte der Berliner Filmfestspiele, die der geschundenen Stadt ein wenig Glanz und internationales Flair zurückgeben. Der „Zoo Palast“, Hauptwerk des Kinoarchitekten Gerhard Fritsche, ist Teil des neuen Quartiers „Zentrum am Zoo“, Symbol für den Wiederaufbau und den Neubeginn im Berlin der 50er Jahre. Fritsches Doppelkino mit zwei übereinanderliegenden Sälen, außen vollflächig mit heller und dunkler Keramik verkleidet, ist heute eine Ikone der Berliner Nachkriegsarchitektur.

Nach anfänglichen Jahren der Trümmerbeseitigung präsentiert sich am Kurfürstendamm und am Tauentzien schon bald „Das neue Gesicht Berlins“(2), mit zahlreichen, modernen Geschäfts-, Büro- und Kulturbauten, die ab 1950 in schneller Folge entstehen. Es ist eine neue Architektur, von einer jungen Architektengeneration mit frischen Gestaltungsideen. Transparente und gerasterte Fassaden, ausladende Vordächer, schwerelose Treppenhäuser sind Merkmale dieser Nachkriegsmoderne. Die Verfügbarkeit neuer Baustoffe wie Aluminium, Opakglas, Eternit, Plexiglas oder Resopal ermöglicht jetzt beschwingte, luftige Architekturen mit eloxierten Leichtmetallsystemen und Wellplattendesign. Dünne Betonschalen und Sichtbetonfassaden gehören ebenso dazu: Ergebnisse einer verbesserten Betonforschung.

(1) „Der Tag“ vom 17.05.1957

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Kino „Zoo Palast“ Berlin-Charlottenburg, 2013; Quelle: PREMIUM Entertainment GmbH, Hamburg; Fotograf: Jan Bitter Fotografie

Dagegen ist die Baukeramik ein traditioneller, altbewährter Baustoff. Dennoch erlebt sie in den 50er Jahren eine Renaissance und einen rasanten Aufschwung. Mosaikfliesen und Spaltwandplatten sind gefragt wie nie zuvor. Neu ist der hohe Bedarf an keramischen Produkten im Außenbereich für die großflächige Verkleidung und Gestaltung der Fassaden. Noch in den 20er und 30er Jahren wurde Naturstein (Travertin, Marmor, Granit) als Fassadenverblendung bevorzugt. Keramische Fliesen fanden überwiegend im Innenbereich Verwendung, insbesondere aus hygienischen Gründen bei Bauten der Nahrungsmittelindustrie, Krankenhäusern, Schwimmbädern oder für Sanitärbereiche in öffentlichen Gebäuden (Schulen, Hotels, Gaststätten).

Nach dem Krieg gibt es gute Gründe für die steigende Nachfrage bei keramischen Fassadenprodukten. Fliesen und Platten werden mehr denn je als „zweckmäßiges, neuzeitliches Bauelement (3)“ und wandlungsfähiger, vielfältig einsetzbarer Baustoff verstanden. Bautechnisch kommt das Material in seiner Anwendungstechnik der konstruktiven Entwicklung im Skelettbau entgegen. Als optisch schöne und langlebige Außenhaut sind keramische Fliesen bei modernen Rasterfassaden sehr beliebt, beispielsweise für die Brüstungsfelder zwischen den konstruktiven Stützen. Auch die preisliche Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Baustoffen ist infolge rationalisierter Fertigung sichergestellt, u.a. wegen der Standardisierung von Fliesengrößen. In den 50er-Jahre-Werbeschriften der keramischen Industrie wird insbesondere auf die Wirtschaftlichkeit und Wertbeständigkeit der Produkte hingewiesen. Frostbeständigkeit, Wetterschutz, unbegrenzte Haltbarkeit und gleichbleibende Sauberkeit sowie Farb- und Lichtbeständigkeit werden als hervorzuhebende Eigenschaften aufgeführt, die geringe Unterhaltungskosten und geringe Alterung garantieren, und die Baukeramik als vielfältig einsetzbaren Baustoff für Fassaden prädestinieren.

Auch in gestalterischer Sicht liegen keramikverkleidete Fassaden im Trend. Bauherren und Architekten schätzen die Schönheit und Ausdruckskraft farbiger Keramikfliesen und deren Anpassungsfähigkeit an künstlerische Ideen. Die Vorzüge von Fliesen und Spaltwandplatten bei der Gestaltung von Innenräumen und Fassaden werden von der eigens eingerichteten „Werbestelle der Keramischen Wandund Bodenfliesen-Industrie“ und deren Hauszeitschrift „Keramik am Bau“ (4) erfolgreich vermarktet. Mit Farbfotos jüngst ausgeführter Bauten unterlegt, wird dem Leser die Produktpalette von kleinformatigen Mosaikfliesen bis zu großformatigen Spaltwandplatten anschaulich vor Augen geführt und deren vielfältiger, kombinierbarer Einsatz, aufgrund reicher Farbauswahl und unterschiedlicher Oberflächenstrukturen (glasiert/unglasiert) illustriert. Es fehlt auch nicht der Hinweis auf die Jahrtausende alte Tradition der Baukeramik, mit Blick zurück bis zur Fliesenarchitektur babylonischer oder assyrischer Paläste. Aus der in den Museen der Welt zu bestaunenden, anhaltenden Pracht dieser Bauten wird gern die Gültigkeit und Wertbeständigkeit keramischer Produkte für die Bauaufgaben der Gegenwart abgeleitet (5).

(2) Titel eines bekannten Fotobandes des Berliner Architekturfotografen Otto Hagemann über West-Berliner Neubauten der 50er Jahre, Berlin 1957 / (3) „Fliesen, ein zweckmäßiges, neuzeitliches Bauelement”, in: Berliner Bauwirtschaft (5) 1954, Nr.18, S.335-336 / (4) „Keramik am Bau“ - erschien ab 1955 mit sechs Heften jährlich. Ähnlich auch die von der Buchtal AG ab den 50er Jahren in lockerer Folge herausgegebenen Hefte der „Buchtal Mitteilungen“, heute gesuchte Sammlerobjekte. / (5) Den Einband der von AGROB anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums herausgegebenen Festschrift „Gebrannte Erde - Baustoff der Jahrtausende - über 100 Jahre AGROB AG für Grob- und Feinkeramik“, München 1959, ziert ganzseitig das berühmte Bogenschützenfries aus farbiger Keramik des früheren Palastes von Dareios I. in Susa (Persien).

Bild: Kino „Zoo Palast“ Berlin-Charlottenburg, 1957; Quelle: Berlin im Aufbau (2) 1957

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Kino „Zoo Palast“ Berlin-Charlottenburg, 1957; Quelle: MASKE + SUHREN Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

Berliner Keramikfassaden

Sucht man nach Berliner Beispielen der 50er Jahre-Architektur, die die Bedeutung und Gestaltkraft keramischer Produkte für den Fassadenbau widerspiegeln, fällt der Blick schnell auf die frühere Stalinallee (6) (seit 1961 Karl-Marx-Allee) im Ostteil der Stadt. Nahezu alle Fassaden dieses über zwei Kilometer langen Straßenzuges (7) mit seinen Wohn- und Geschäftsbauten sind komplett mit Keramikplatten verkleidet. (8) Das in städtebaulicher und ästhetischer Hinsicht einmalige Ensemble eines sozialistischen Städtebaus nach sowjetischem Muster wird im Westteil der Stadt kritisch beäugt. Mit der Interbau 1957 im Hansaviertel soll ein Gegenmodell für einen menschlichen und modernen Städtebau geliefert werden. Kritik an der Stalinallee kommt auch von der keramischen Industrie, die der „Repräsentativschau keramischen Materials“, so der spöttelnde Unterton, „ein erdrückendes Gefühl, ein Gefühl der Gleichschaltung, der Uniformierung“ attestiert, „vom Baustil, der wohl keinesfalls der heutigen Auffassung modernen Bauens und Wohnens verspricht“, ganz abgesehen. (9) Interessanterweise findet sich allerdings auf der Interbau kein Objekt, das die Möglichkeiten keramischen Materials für den Außenwandbereich demonstrativ aufzeigt. Sichtbeton oder Verkleidungen aus Stahlblech prägen hier die Bauten einer internationalen Architektenavantgarde, für die der Baustoff Keramik wohl nicht innovativ genug erscheint.

Der flächendeckende Wiederaufbau West-Berlins mit neuen Wohnungen, Schulen, Gesundheits- und Verwaltungsbauten wird dagegen von jungen Architekten geleistet, die – freischaffend oder in den Hochbauämtern der Bezirke tätig – ein enormes Pensum zu bewältigen haben. Die Bauten müssen wirtschaftlich sein und im Design ansprechend. Baukeramische Produkte versprechen diese Forderungen einzulösen und werden deshalb für die Gestaltung von Läden, Hauseingängen oder Balkonen eingesetzt. Noch heute sind ganze Straßenzüge in den Berliner Bezirken von Gebäuden aus der Zeit des Wiederaufbaus geprägt. Aber kaum jemand kennt heute die Personen und Namen der für die Baukultur der Nachkriegszeit verantwortlich zeichnenden Architekten.

 (6) Bauzeit 1949-1969. / (7) Die „Stalinallee“, oft als das längste Baudenkmal der Welt bezeichnet, wurde nach der Wende 1990 aufwändig saniert. / (8) Vgl. Wolfgang Henze: Architektur- und Baukeramik, Halle 1955 und Christian Madaus: Fassadenverkleidung durch Keramik, Berlin (Ost) 1958. / (9) Jochen Weigel, Die Keramische Industrie auf der Interbau Berlin, in: Keramik am Bau (3) 1957, Nr. 2, S.5


Kinoarchitekt G. Fritsche

Einer dieser ‚Unbekannten’ oder inzwischen nahezu Vergessenen ist der Architekt Gerhard Fritsche, der sich in den 50er Jahren einen Namen als Kinoarchitekt macht. Sein zweites Standbein ist die Architektur für die Brauereiindustrie. Erste und wichtigste Auftraggeberin wird die Berliner Kindl Brauerei, die ihn kontinuierlich mit Bauaufgaben betraut. Als Hausarchitekt der Brauerei ist Fritsche 1952 bis 1955 für den Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Brauereistandortes in Berlin-Neukölln verantwortlich. Die Brauereiindustrie feiert das Neuköllner Projekt als vorbildliche Brauerei der Gegenwart, nicht nur in technischer Hinsicht. (10) Wegen seines modernen Designs schafft es das Kindl-Projekt sogar auf das Titelblatt der Architekturzeitschrift „Bauwelt“ (11). In Presse und Fachliteratur wird – neben dem Sudhaus mit einer Wandverkleidung aus elfenbeinfarbigen Glaswandplatten – vor allem die Gestaltung des Würzefilterraums der neuen Kindl Brauerei hervorgehoben. Dessen überzeugende Raumwirkung wird allein der Gestaltkraft der mehrfarbigen Fliesen zugeschrieben, die Boden, Wände und Pfeiler vollflächig bedecken. (12) Fritsche gelingt es, hygienische Anforderungen und höchsten gestalterischen Anspruch geschickt zu verbinden. Nach dem Krieg und Jahren der Not wächst in der Berliner Bevölkerung das Bedürfnis nach Unterhaltung und Zerstreuung. Tanzvergnügen und Kinobesuch stehen hoch im Kurs. 1953 erhält Fritsche den Auftrag zum Umbau des Hotels „Tusculum“ am Kurfürstendamm. Der Hotelbetrieb schließt im Erdgeschoss eine neue Tanzbar ein, die unter dem Namen „Petit Palais“ in Künstler- und Literatenkreisen schnell bekannt wird. Das Etablissement mit Tanz- lokal, Restaurant und Espressobar zeigt sich ganz im ‚Pariser Chic’ und mit entsprechender Noblesse wird der Gast schon am Kurfürstendamm empfangen. Nachtschwarz glänzende Keramik (13) überzieht die gesamte Erdgeschosszone, die sich bewusst von der hellen Putzfassade der oberen Hotelgeschosse abhebt. Sie gibt zugleich den spannungsreichen Hintergrund für Ganzglastüren, Außenleuchten in Art déco-Manier und geschwungene Neonschriftzüge, die Tag und Nacht zum Besuch des Lokals einladen. (14) Die von Fritsche erstmals am Hotel „Tusculum“ angewendete Fassadengestaltung mit Keramikplatten mag den Architekten darin bestärkt haben, die spezifischen Eigenschaften baukeramischer Produkte auch für seine Kinoprojekte zu nutzen.

(10) Brauwelt (93) 1953, Nr.45, S.576-578; Die Brauerei (7)1953, Nr.20, S.163-164 / (11) Bauwelt (44)1953, Heft 32, S.625-629 / (12) Elfriede Holzbach, Keramische Fliesen, Bonn 1954, Abb.52; Keramik am Bau (1)1955, Vorheft, S.2; Keramische Fliesen: Handbuch für Architekten, Wiesbaden 1956, S.189 / (13) Es handelt sich um profilierte, glasierte, tiefschwarze Spaltwandplatten. / (14) Die Eingangssituation mit der Keramikverkleidung ist heute leider nicht mehr erhalten.

Bild: Gerhard Fritsche, 1950er, Quelle : Dr. Bodo Fritsche, Mülheim/Ruhr

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Hotel „Tusculum“ mit Tanzbar „Petit Palais“, 1956, Quelle: Dr. Bodo Fritsche, Mülheim/Ruhr, Fotograf: E. und H. Fischer

Für die Kinobranche sind die 50er Jahre goldene Jahre. Findet das Filmvergnügen anfangs noch in Provisorien statt, wird Kinoarchitektur sehr bald zur gefragten Bauaufgabe. 1959 gibt es in West-Berlin 265 Kinos. Das Wirtschaftswunder macht's möglich. Mit dem Umbau des „KiKi“-Kinos am Kurfürstendamm gelingt Gerhard Fritsche 1951 ein furioser Einstieg in das Kinometier. In den Folgejahren avanciert er zum Berliner Spezialisten für Kinobauten. 17 Kinoprojekte dokumentieren Fritsches Begabung für diese Bauaufgabe, die ihm bald den Spitznamen „Kino-Fritsche“ einbringt.

Seine Kinobauten knüpfen an die Idee des Filmpalastes der 20er Jahre an, jetzt aber mit neuer Ästhetik und neuen Formen. Für Fritsche beginnt das Kinoerlebnis nicht erst im Kinosaal, sondern schon auf der Straße. Die Gebäudehülle soll Vorfreude vermitteln und einstimmen auf die Erwartungen der Besucher nach guter Unterhaltung. So ist die Materialwahl ein wesentlicher Aspekt im Entwurfskonzept des Architekten. Für die äußere Gestaltung seiner Kinos bevorzugt Fritsche ‚glänzende’ Materialien, vorwiegend Aluminium, farbiges Opakglas und keramische Fliesen. Bei seinen frühen „Panorama“- Kinos in Berlin-Neukölln und Berlin-Zehlendorf, die 1954 zeitgleich im Auftrag der Seifert-Filmtheaterbetriebe entstehen, sind die Eingangsfronten mit hellblauem Opakglas verkleidet. Auch beim „MGM“-Kino am Kurfürstendamm findet dieser Baustoff Verwendung. Tiefschwarze Opakglasplatten fassen die weithin sichtbaren Firmenbuchstaben ein. In Kombination mit der aus Aluminium-Lamellen gefertigten Schaufassade, die nachts effektvoll rot und blau ausgeleuchtet ist, wird dieses Kudamm-Kino von 1956 zum futuristischen Erlebnisort (15).

Für das im gleichen Jahr in Berlin-Moabit eröffnete „Maxim-Lichtspieltheater“ erfordert die Bauaufgabe eine gänzlich andere gestalterische Lösung. Hier ist das Kino im Erdgeschoss eines mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshausneubaus integriert (16). Zur Bewerbung des Kinos steht nur eine aus der Bauflucht vorstehende Ladenzone mit dem Kinoeingang zur Verfügung, die einen kastenförmigen Vorbau mit Überdachung aufweist. Zur optischen Hervorhebung der Fassadenbereiche nutzen die beiden Architekten auch die gestalterischen Möglichkeiten der Baukeramik. Hell glasierte Spaltwandplatten verkleiden die Fassade in den oberen Geschossen. Dagegen ist die Ladenzone mit dem Kinoeingang optisch dunkel gefasst, mit schwarz-glasierten Spaltwandplatten für die Rückfront und dunkelgrauem Kleinmosaik für die Überdachung, das mit regelmäßig gesetzten Mosaiksteinchen in gelber Färbung eine sternenteppichartige Akzentuierung erfährt. Das dunkelgraue Kleinmosaik findet seine Fortsetzung an den Wänden des sich tief ins Gebäude ziehenden Kassenfoyers, dessen Boden mit einem hellem Kleinmosaikbelag und integriertem grauem Muster ausgeführt ist (17).

Die vielfältige Verwendbarkeit keramischer Fliesen nutzt Fritsche auch für seine späteren Kinogroßprojekte, dem „Panorama“ in Berlin-Britz (1959) und dem „Zoo Palast“ an der Gedächtniskirche. Als freistehende Kinos errichtet, sind deren Außenhüllen rundum mit verschiedenfarbigen Fliesen verkleidet (18). Das in einem neuen Wohngebiet errichtete „Panorama“ (19) wirkt wie ein direkt aus Amerika importiertes Kino. Sein ‘spaciges‘ Aussehen erhält der kastenförmige Baukörper durch seitliche, schräggestellte Gebäudewangen, die die architektonische Idee des steil ansteigenden Hochparketts im Innern des Kinos nach außen tragen. Über streifenförmige Beläge aus weißen und hellgrauen Spaltwandplatten wird diese Wirkung noch gesteigert. Der Unterbau des Kinos ist komplett mit mittelformatigen, glasierten Fliesen in dunkelgrauer und schwarzer Färbung verkleidet. Hierdurch ergibt sich ein spannungsreicher Kontrast zum mit weißen Spaltwandplatten verkleideten Oberbau.

(15) Das „MGM“ und das „Panorama“ in Berlin-Zehlendorf wurden Ende der 70er Jahre abgebrochen. Das „Panorama“ in Berlin-Neukölln wurde 1977 geschlossen und für einen Gewerbebetrieb umgebaut, unter Verlust der von Gerhard Fritsche für das Kino entworfenen Fassadengestaltung. / (16) Bei der Entwurfsplanung des Hauses zeichnet Gerhard Fritsche für das Kino und der Architekt Erich Rothe für das Wohn- und Geschäftshaus verantwortlich. / (17) Im ehem. „Maxim“ befindet sich seit 1978 ein Lebensmittelmarkt. Die straßenseitige Verkleidung mit Keramikfliesen ist noch erhalten. / (18) Bei beiden Kinos wurden keramische Produkte der AGROB Buchtal AG verwendet. In den „Buchtal Mitteilungen“ Nr. 16, (um 1960) wird mit dem „Panorama“ in Berlin-Britz als Referenzobjekt geworben. / (19) Das „Panorama“ in Berlin-Britz wurde Ende 1980 geschlossen und zum Lebensmittelmarkt umgebaut. Die äußere Hülle ist erhalten, weshalb das Kino heute unter Denkmalschutz steht.

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Kindl Brauerei Berlin-Neukölln, Würzefilterraum, 1953, Quelle: Radeberger Gruppe KG, Archiv, Fotograf: Arthur Köster

Der „Zoo Palast“

Schon bei dem zwei Jahre zuvor als neues Festspielkino der Berlinale errichteten „Zoo Palast“ hat Fritsche für die Fassadengestaltung auf Keramikfliesen und Spaltwandplatten zurückgegriffen. Ein Grund hierfür mag die bewusste, gestalterische Absetzung von den Sichtbetonfassaden der benachbarten „Zentrum am Zoo“-Bauten der Architekten Schwebes & Schoszberger sein. Außerdem sieht Fritsche im fassadenkeramischen Material das Potenzial zur architektonischen Differenzierung seines Kinoentwurfes. Dessen Genialität besteht in der Idee des platzsparenden Doppelkinos mit zwei keilförmig übereinander geschobenen Kinosälen – schon bald geben die Berliner dem neuen Kino daher den Spitznamen „Klappstulle“. Die Hülle des Kinos präsentiert sich von außen mit geschlossenen Fassadenflächen. Nur die Vorderseite wartet mit einer großformatigen, gewölbten Fassade auf, die nichts anderes ist als das Pendant zur breiten Bildwand im großen Kinosaal. Funktionsarchitektur könnte man meinen. Doch Fritsche verleiht dem Gebäude Esprit, indem er die Gebäudehülle vollflächig mit profilierten, natursteinfarbenen Spaltwandplatten verkleidet (20), die eine sehr lebhafte Oberflächenstruktur erzeugen. Die Fassadenwölbung der Vorderseite gestaltet er spielerisch zur Schaufassade mit frei positionierter Filmplakatierung um, mit goldfarbenen Knöpfen zur Plakataufhängung, die selbst ohne Plakatierung äußerst dekorativ wirken. Mit graphitfarbenem Mittelmosaikfliesen stattet Fritsche die Fassaden der sich um den Hauptbaukörper legenden Anbauten aus: seitlich die diagonal aufsteigenden Treppenaufgänge für den großen Saal und der Zugang zum Kino „Atelier“, zur Straße eine breit vorgelagerte Ladenzone und der Zugang mit Kassenhalle zum „Zoo Palast“. Fritsche nutzt die unterschiedlichen Formate und Farben von Fliesen und Spaltwandplatten zur Differenzierung und optischen Gliederung der Fassade und verstärkt damit die Ablesbarkeit seines innovativen Ansatzes für eine noch nicht da gewesene Kinoarchitektur eines Großkinos mit übereinander liegenden Kinosälen. Seit seiner Eröffnung 1957 ist der „Zoo Palast“ als Kino in Nutzung. Die Kinoarchitektur Fritsches hat sich bewährt, mit den bis heute originalen Fliesen und Spaltwandplatten, die ihre Funktionstüchtigkeit absolut bewahrt haben.

Wie die Gedächtniskirche ist der „Zoo Palast“ ‚ein Stück Berlin’. Nicht nur wegen seiner Stars, die der Stadt alljährlich zur Berlinale ihre Aufwartung machen, sondern auch als herausragendes bauliches Zeugnis Berliner Nachkriegsarchitektur. Nach dreijähriger Instandsetzungs- und Umbauzeit erstrahlt der „Zoo Palast“ seit seiner Wiedereröffnung im November 2013 im neuen Glanz. Und mit seiner Wiederbelebung als Berlinale-Kino 2014 hat er die ihm gebührende Stellung im kulturellen Leben der Stadt zurück erhalten.

(20) AGROB-Stabverblender im Format 24,5cm x 12cm

MASKE + SUHREN Architekten und Designer GmbH ist ein erfahrenes Berliner Büro mit aktuell 20 Mitarbeitern. Nach einer teils gemeinsamen Ausbildung an der HdK Berlin und am Politecnico di Milano gründen Anna Maske und Jens Suhren 1999 ihr gemeinsames Büro. Denkmalprojekte bilden einen Schwerpunkt der heutigen Bürotätigkeit. Bestandsaufnahmen, das Bauen im denkmal-geschützten Bestand, Konzeptentwicklung und Revitalisierung von Baudenkmalen für intelligente und nachhaltige Nachnutzungen gehören zu den Kernkompetenzen. Sonderbauten, besonders Museen und Kinos, repräsentative Empfangsräume und Gastronomien, zählen zu den ständigen Bauaufgaben, die verschiedene moderne Architekturkonzepte mit hohem funktionalen und ästhetischen Anspruch vereinen. Weiterhin ist das Büro auf hochwertigen Wohnungsbau spezialisiert, vom Neubau und Umbau komplexer Wohnblöcke unter städtebaulichen, energetischen und ökologischen Aspekten bis hin zur Gestaltung von Innenräumen als eigenständige Architekturen mit exklusivem Gestaltungsanspruch.

Instandsetzung/Umbau „Zoo Palast“, Berlin
Planungs- und Bauzeit: 2010-2013
Bauherr/Betreiber: PREMIUM Entertainment GmbH (Hans-Joachim Flebbe), Hamburg
Eigentümer: Bayerische Hausbau GmbH, München
Architekten: MASKE + SUHREN Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin (Instandsetzung/Umbau Kino) HildundK Architekten, Berlin (Fassadeninstandsetzung)
Begleitausstellung „Gerhard Fritsche – Bauen für ein neues Berlin 1950-1960“
Konzept und Realisierung: MASKE + SUHREN Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
www.gerhard-fritsche.de

Weitere Projekte der letzten Jahre:
Residenz-ASTOR Film Lounge Köln, ASTOR Film Lounge Frankfurt/Main, Wohnhochhaus „Goldenes Haus“ Berlin, Lukasklause Magdeburg (Otto-von-Guericke-Stiftung)

MASKE + SUHREN Architekten und Designer Gesellschaft von Architekten mbH
Kurfürstendamm 22
10719 Berlin

www.MaskeSuhren.de

Architekten@MaskeSuhren.de