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Bamberger Rinne

Schwimmbad nach Passivhaus-Standard

Passivhäuser existieren schon länger – aber Schwimmbäder? Das Familien- und Sportbad Bambados in Bamberg ist Europas erstes Hallenbad nach Passivhaus-Standard, wird also besonders energiesparend betrieben, auch dank eines innovativen Beckenkopfsystems, das einen nachhaltigen Beitrag leistet.

Entstanden ist die Innovation in enger Zusammenarbeit zwischen Bauherr (Stadtwerke Bamberg), Planungsbüro (pbr Planungsbüro Rohling AG mit Hauptsitz in Osnabrück) und AGROB BUCHTAL als einem der führenden Anbieter von Schwimmbadkeramik, von dem auch die Fliesen in den anderen Bereichen stammen. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Beckenkopfsystem WIESBADEN ist die Wasserverdunstung nun beim System BAMBERG um 45 % niedriger. Dies spart wertvolle Energie sowohl bei der Wassererwärmung als auch bei den Lüftungsanlagen: Die Ventilatoren brauchen weniger Luft umzuwälzen, so dass der Energiebedarf für deren Antrieb sinkt. Darüber hinaus überzeugt das neue System mit eleganter Optik und vermindertem Geräuschpegel dank sanftem Wassereinlauf ohne Spritzwasserbildung.

Hat alles nach Plan funktioniert? Wie steht’s mit der Besucherresonanz? Wie funktionierte die Projektkoordination bei so vielen Beteiligten? Boris Schlörb vom pbr Planungsbüro Rohling AG, Christoph Jeromin von den Stadtwerken Bamberg und Andreas Kramer, Leiter Architektenservice/Anwendungstechnik bei AGROB BUCHTAL, gehen für uns ins Detail:

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AGROB BUCHTAL: Herr Schlörb, das Bambados ist bekanntlich das erste Hallenbad Europas mit Zertifizierung nach Passivhaus-Standard. Welche Planungsansätze waren ausschlaggebend, um dieses Ziel zu realisieren?

Schlörb: Bei der bauphysikalisch besonderen Gebäudeart „Hallenbad“ steckt ein großes Potential in der Optimierung des Energiebedarfs. Durch die besondere Nutzung von ganzjährig beheizten Wasserflächen im Innenraum mit gleichbleibend hohen Temperaturen und daraus resultierender Luftfeuchte ist diese Aufgabe bauphysikalisch sehr anspruchsvoll. Die Idee und Entwicklung der Passivhausbauweise auch für diese Gebäudeart war daher besonders spannend und herausfordernd. Wichtig war das integrale Zusammenspiel zwischen Passivhausinstitut, Planung in der Architektur und technischer Gebäudeausrüstung, also die Entwicklung eines integralen Planungsansatzes. Erst dadurch und durch den Einsatz von innovativen Baumaterialien und technischen Lösungen bestand die Möglichkeit, neue Wege zu gehen.

AGROB BUCHTAL: Herr Jeromin, zwischenzeitlich ist das Bambados mehr als ein Jahr in Betrieb. Wie sind die bisherigen praktischen Erfahrungen und wie wird das Bambados von den Besuchern bzw. der Öffentlichkeit angenommen?

Jeromin: Wir haben sehr positive Erfahrungen mit der Passivhausbauweise gemacht. Gleich im ersten Winter 2011/2012 war der Baukörper einer extremen Kälteperiode von bis zu minus 20° C ausgesetzt, die er sehr gut überstanden hat. Auch hinsichtlich Taupunkten und Kondensat-Anfall hat das Passivhaushallenbad seine erste Bewährungsprobe ohne Probleme gemeistert. Die Besucherzahlen sprechen für sich und zeigen, dass die Anlage sehr gut angenommen wird. So konnten im ersten Betriebsjahr die Planzahlen in der Saunalandschaft um 12% übertroffen werden und am 15.11.12 – knapp zwei Wochen vor seinem ersten Geburtstag – hat das Bambados die 250.000ste Besucherin begrüßt. Somit wurden auch im „Bäderbereich“ die prognostizierten Besucherzahlen erreicht. Inklusive den Vereinen und Schulen haben im ersten Betriebsjahr rund 400.000 Gäste das Sport- und Familienbad besucht. Damit sind wir sehr zufrieden.

AGROB BUCHTAL: Herr Kramer, welche Kriterien waren für die Entwicklung des Systems BAMBERG von Bedeutung und wie wurden diese umgesetzt?

Kramer: Im Bambados gibt es insgesamt rund 1.800 m2 Wasserfläche und mehr als 400 m umlaufenden Beckenrand, der im Bezug auf die Verdunstung durch das abfließende Wasser besonders relevant ist. Gerade „Störfaktoren“ wie Abdeckrost oder dessen Auflagerkanten führen unweigerlich zu größeren Verdunstungsraten und damit zu erhöhtem Energieaufwand. Ziel war es also, durch Vermeidung störender Einflüsse eine absolut sanfte Wasserabführung mit geringstmöglicher Verdunstung zu erreichen. Dazu wurde z. B. auch auf die klassische Rinnenabdeckung mit Rost verzichtet und bei der Bamberger Rinne in eine „höhere“ Ebene verlagert und direkt in den Formstein integriert.

AGROB BUCHTAL: Was machte Sie so sicher, dass sich die theoretischen Annahmen in der Praxis tatsächlich auch einstellen werden?

Kramer: Unsere theoretischen Ermittlungen wurden durch umfangreiche praktische Versuche an 1:1-Modellen der entsprechenden Beckenkopf-Varianten verifiziert. Mittels modernster Mechanik und Sensorik wurden dabei in einer Klimakammer Wellen oder Wasser- bzw. Luftströme erzeugt und unzählige Daten analysiert, um die Einflüsse auf die Verdunstung zu ermitteln, bis sich schließlich die beste Variante herauskristallisierte, mit der die ersten Annahmen sogar weit übertroffen werden konnten.

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Großer Rinnenstein mit Handfasse, Ablauf (Ø 75 mm), ohne Abdeckrost. Bei vielen Bäderarten einsetzbar.

AGROB BUCHTAL: Herr Jeromin, welche Rolle spielt das gemeinsam entwickelte Beckenkopfsystem BAMBERG im Bezug auf die Energieeinsparung?

Jeromin: Wie schon von Andreas Kramer erwähnt, wurden dafür in der Klimakammer des Instituts für Energie und Gebäude (ieg) an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule komplexe Vergleichsmessungen mit herkömmlichen Beckenkopfystemen angestellt. Dabei wurde für die neuartige Rinne eine deutlich verringerte Verdunstungsrate bis 45 Prozent (je nach Nutzungsintensität) ermittelt. Diese verringerte Verdunstung bedeutet natürlich weniger Lüftungsleistung und weniger Stromverbrauch.

AGROB BUCHTAL: Herr Kramer, das System BAMBERG wurde im Bambados erstmalig eingesetzt. Welche Herausforderungen waren hinsichtlich des Einbaus zu meistern?

Kramer: Grundsätzlich werden keramische Fliesen oder auch solche Formstücke erst durch sach- und fachkundige Verarbeitung zu einem fertigen „Produkt“, in diesem Fall dem Schwimmbecken. Eine möglichst unkomplizierte Verlegung war uns jedoch schon während der ersten Entwicklungsschritte sehr wichtig, damit diese innovative Lösung nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch überzeugt. Die spezielle Formgebung, welche die bereits beschriebenen Effekte ermöglicht, spielt sich im Innenbereich des Beckenrandsteins ab. Die äußere Form dagegen wurde bewusst „kastenförmig“ und im besten Sinne einfach gehalten, so dass im Rohbeton nur eine relativ einfache Aussparung mit 90 °-Winkel erforderlich ist. Dadurch ist der Einbau auch nicht anspruchsvoller als bei herkömmlichen Beckenkopfsystemen. Für den oberen Kantenabschluss-Stein werden maßgenaue Verlegehilfen mitgeliefert, die eine effiziente und exakte Montage wirkungsvoll unterstützen.

AGROB BUCHTAL: Herr Schlörb, wie wichtig war für Sie die planerische Begleitung durch den „Architektenservice“ von AGROB BUCHTAL?

Schlörb: Für die Entwicklung des Systems BAMBERG sowie die energetische Optimierung des Systems FINNLAND zur energiesparenden „Sportrinne“ war die Unterstützung durch Architektenservice und Produktentwicklung von AGROB BUCHTAL essentiell. Die ersten Ansätze und Ideen wurden dort umgehend aufgegriffen und mit dem ausgeprägten „Know-how“ zur einer marktreifen Lösung entwickelt. Für uns war es sehr spannend, am gesamten Werdegang vom theoretischen Ansatz über die technische Entwicklung bis hin zur Umsetzung intensiv beteiligt zu sein.

AGROB BUCHTAL: Herr Jeromin, wie beurteilen Sie im Nachhinein die gemeinsame Entwicklung des Systems BAMBERG? Was war aus Ihrer Sicht entscheidend für das Gelingen dieser Innovation?

Jeromin: Entscheidend und bemerkenswert war aus meiner Sicht die gute Zusammenarbeit zwischen AGROB BUCHTAL, den Stadtwerken Bamberg, dem Planungsbüro pbr und der Hochschule in Nürnberg. Gemeinsam konnte so eine Innovation geschaffen werden, die nicht nur Energie einspart, sondern auch neue ästhetische Möglichkeiten im Bereich des Beckenumgangs offeriert. Der Umgangsbelag kann bis unmittelbar an den Rand des Beckens gezogen werden, so dass ein puristisch-edler Eindruck entsteht. Wichtig war auch die Begleitung durch den Projektträger Jülich (PtJ), der die Neuentwicklung mit Mitteln aus dem EnOB-Förderprogramm unterstützt hat.

AGROB BUCHTAL: Herr Schlörb, Keramik ist ein durch und durch ökologischer Baustoff, der so gesehen hervorragend zur umweltfreundlichen Ausrichtung des Bambados passt. Welches Verhältnis haben Sie persönlich zu diesem Material und dessen ästhetischen bzw funktionalen Eigenschaften?

Schlörb: Keramik ist ein Baustoff, der sich bereits seit Jahrtausenden bewährt, aber dennoch immer wieder durch verblüffendes Entwicklungspotenzial überrascht. Es ist faszinierend, welche Entwicklung und Varianz dieses Material in seinen Eigenschaften seither genommen hat. Gerade im Bäderbau bietet die Keramik für das ästhetische und haptische Erleben zahlreiche ästhetische Möglichkeiten. Gleichzeitig überzeugt die sichere Erfüllung der anspruchsvollen funktionalen Anforderungen und Belastungen z.B. in Form von Feuchtigkeit oder Chemikalien. Von der Ausgestaltung eines sportlich funktionalen Ambientes bis hin zur Wohlfühl-Atmosphäre können unterschiedliche Konzepte realisiert und in ihrer Wirkung auf den Menschen optimal abgestimmt werden. Gerade hier erlebt man die Oberflächen des Raumes nicht nur visuell, sondern auch auf eine sehr intensive Weise durch direkten Haut- und Körperkontakt. Hier bietet dieses Material viele Aspekte wie z.B. Rauhigkeit, Glätte, Wohlfühlen, Sicherheit, Vielfalt, Emotion, Haptik, Funktionalität, Dauerhaftigkeit, Nachhaltigkeit oder Hygiene.

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